Legendäre Entdeckungen: LICHTBLICK 1982

Es muss wohl 1982 gewesen sein, als Wildrose ihren kleinen Bruder Aloisius (ja, den von FRATER ALOISIUS SAYS HELL-O) eines Tages mitnahm in etwas, das man ein „alternatives Kulturzentrum“ nannte: Die BROTFABRIK im Frankfurt Stadtteil Hausen. Für mich, den wiederum man damals „das alternative Kind“ nannte, waren solche Gelegenheiten von geradezu existenzieller Bedeutung. Warum? Führt zu weit. Weiter im Text:
Wir schauten uns alternative (linke) Bücherstände an, futterten irgendwas Alternatives und betraten, am späten Nachmittag, einen Saal, wo ein mutterseelenalleiner DJ dabei war, die Musikanlage warmlaufen zu lassen, um eine abendliche Tanzveranstaltung vorzubereiten.

Was da aus den Boxen dröhnte, nahm mich sofort total gefangen. Die Ohren registrierten die typischen Stilmittel dessen, was ich als „Neue Deutsche Welle“ kannte. Nur übertraf, was der Alternativ-Jockey am abspielen war, die müden Kasperle-Schlagerparodien, welche ich bisher für NDW gehalten hatte, qualitativ um Längen, mindestens um die einer Nase. Die genervte Stimme einer lässigen Frau, rockige Gitarren, das Tempo des Punk und komische Geräusche aus dem Synthi. Ein Text über eine Art Krankenhaus-Aufenthalt, also über realen Horror, über das Durchdrehen und die Angst davor – mit Witz vorgetragen. Diese Musik ordnete sich knapp jenseits des Mainstream ein, soviel war klar, und lag näher an beispielweise „Ideal“ oder „Nichts“ als an an der modischen Klamauk-Musik, als die NDW inzwischen vielfach galt und gilt.

Gleich schickte ich Wildrose zu dem Typen hin, um ihn zu fragen, was das denn bitteschön Geiles sei. Was sie auch tat. Danke, Wildrose, ein kleiner Junge hätte ja nicht einfach einen wildfremden Erwachsenen, eine ziemlich coole Sau übrigens, irgendetwas fragen können. Die coole Type antwortete „LICHTBLICK“ und hielt Wildrose und mir das LP-Cover hin. Ein grob gerastertes (was man heute pixelig nennen würde) Auge in weiß, schwarz und neongelb. Und Lichtblick 82

Diese LP wollte ich haben. Was soll ich sagen: Das alternative Kind kannte damals noch nicht so viele gute Plattenläden. Bei Radio Diehl gab es die Scheibe jedenfalls nicht. Und in Tschernovülbel schon gar überhaupt nirgends.
Erst etwa zwei Jahre später, ich war bei Snoopy in Köln zu Gast und er führte mich durch etwas, das man wohl „alternative Plattenläden“ genannt hätte, hatte ich plötzlich den ersehnten (und schon fast wieder vergessenen) Tonträger in den Händen. Ein frühes, vielleicht mein erstes, Sammler-Erfolgserlebnis!

Zum Glück stellte sich heraus, dass die gesamte LP mir mindestens genauso gefiel, wie das vom Brotfabrik-DJ angespielte Stück, was übrigens „Intensivstation“ heißt.
Auch ein beinahe-Hit war enthalten:
„Du riechst so gut“.
Nach dem Album „Lichtblick 82“ hörte ich nie wieder etwas von dieser ungewöhnlichen Band. Man reihe sie ein im Heer der sträflich Unbeachteten.

„Wir sind Helden“ oder „MIA“, derartige heutige Revivalisten-Bands der Spätgeborenen, haben sich vieles von dem angeeignet, was auf „Lichtblick 82“ zu hören war – wenn auch (teils zu Recht) anderes heute als einflussreicher gilt.

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