Review: Melvins, Porn, Big Business (Batschkapp, Frankfurt, 10. April 2007)

Kinder, war das schön: Als 2006 das MELVINS-Album ?a senile animal? herauskam, hielt die Rockwelt den Atem an aufgrund des erhabenen Spiels zweier (!) Schlagzeuger.

Hatten doch MELVINS-Drummer Dale Crover und Gitarrist King Buzzo als Neuzugänge gleich das ganze Duo BIG BUSINESS rekrutiert, nämlich Jared Warren am Bass und mit Coady Willis einen zweiten Trommler. Das würde live mächtig Druck erzeugen, soviel war gleich nach dem ersten Hören des für MELVINS-Verhältnisse eingängig rockenden ?senile animal? klar!

Gestern war es soweit, doch der Reihe nach.
Als Apollo Surfer und Mister Serial und ich komplett waren und uns vor der Batschkapp eingefunden hatten, fiel zunächst der Zettel auf, mit welchem die Melvins ums Nichtrauchen in der Halle baten. Sehr schön: Die Kleider duften also am Folgetag früh noch immer lecker und können gleich anbehalten werden.

Lang nicht mehr in der Batschkapp gewesen. Überall rot und golden gemusterter Samt, oder nennt man?s Brokat, und Kronleuchter. Mitten auf der Bühne die zwei Schlagzeuge, nah beieinander, so dass sie sich in der Mitte witzigerweise genau um ein gemeinsames Becken überschneiden. Das Licht ist noch an und aus der Konserve jault eine meditative, rhythmische Rückkopplung.

Beim Merchandising-Kaufladen gibt es einen nummerierten, von den MELVINS signierten Siebdruck als Poster, extra für Frankfurt. Köln ist auch noch vorrätig, verschiedene Motive also für jede Stadt der Tour?!

Schon geht?s los.
Heiliger Jesus! Fangen die laut an! Ist es bei Rockkonzerten nicht so: Die ersten Bands, die Einheizer spielen eher leise und erst später, mit dem Hauptact wird so richtig aufgedreht, es muss ja eine Steigerung geben?! Die ist hier unmöglich. Ich denke ständig, mein Handy in meiner Tasche täte sich melden, aber es ist die komplette Jacke, die vibriert.

PORN beharken dasselbe Feld wie die MELVINS, wenn auch auf ihre eigene Weise:
Versatzstücke der Rockgeschichte blitzen kurz hervor, nur um genüsslich seziert und pulverisiert zu werden. Sänger und Gitarrist Tim Moss, (auch: RITUAL DEVICE) mit lustigem Rauschebart, breitem Stirnband und tätowierten Armen bearbeitet die Gitarre meist mit einem Bottleneck, was bei dieser Lautstärke und Übersteuerung zu wahrlich fiesen Resultaten führt. MELVINS-Mann Crover trommelt brutal aber sparsam und der Bassist zupft einen wirklich heißen Darm. Tim singt dann und wann ein paar raue, rockige Zeilen und wenn er nicht gerade alles unter einem riesen Krach begräbt, hat er ein paar ganz traditionelle Gitarrenriffs drauf. ?Die missratenen Enkel von Black Sabbath und ZZ Top?, geht es mir gerade durch den Kopf, als plötzlich der Anfang von ?La Grange? von letzteren kurz anklingt. Apollo Surfer neben mir will schon ?How-how-how-how!? in mein Ohr raunen, als jedoch das Stück eine Wendung in Richtung unidentifizierbares Geschwindigkeitsexperiment nimmt. Stonerrock im Ironiemodus.
Eine Seifenblasenmaschine kommt übrigens auch zum Einsatz.
Am Ende tritt Dale hervor und hält eine ironische kleine Rede ans Publikum, die aus ?clap your hands? und ? Frankfurt, wonderful city? und so einem Stuss besteht. (und ab)

(Auftritt BIG BUSINESS)
Coady Willis (Drums) und Jared Warren (Bass) lärmen erst kurz im Duo, wobei Willis sich wie das Tier aus der Muppets-Show aufführt, er rührt die Felle, als gäbe es kein Morgen und Warren (im Kleid oder Kimono oder so was) spielt einen gitarristenmäßigen Bass. Viele Töne. Als Duo muss man eben zu zweit für drei oder vier arbeiten. Aber schon taucht Dale Crover wieder auf und schnappt sich ne Klampfe, die er kurz unterstützend malträtiert.

Hoppla, da sind ja jetzt die MELVINS: Dale setzt sich neben Coady hinters zweite Schlagzeug, vorne ist nämlich King Buzzo plötzlich aufgetaucht, der mittlerweile tatsächlich ergraut ist. Ebenfalls im langen Gewand, greift er nun seinerseits zur Klampfe. Der Ventilator hinter ihm lässt seinen imposanten Afro gespenstisch wehen.

Die zwei Schlagzeuger stellen wirklich die Attraktion des Abends dar. Man lauscht staunend, wie sie, zumeist synchron, das verdoppelte Zentrum dieser mächtigen Musik bilden. Unglaublich.
Anfangs klingen die beiden fast wie eine durchgeknallte Militärkapelle.

Mit ihrem einstimmig/zweistimmigen Gesang setzen Jared und Buzzo eigenartige atmosphärische Akzente. Die infernalischen, von Bass und Gitarre dazu entfesselten Klänge brauche ich ja nicht eigens zu beschreiben. Deswegen sind wir ja hier.

Das Militärkapellendings mündet in ?talking horse? von der neuen Platte. Kurz darauf erklingt das tolle ?zivilised worm?, aber mehr Titel fallen mir nicht ein. Von ?houdini? kommt was; bald klingt?s nach ?stoner witch?. Es geht halt auch alles mehr oder weniger ineinander über. Ein zerstörerischer Trip. Ach ja: Mit ?In the freaktose the bugs are dying? wird?s kurzfristig fantastisch punkig.

Ansonsten gerät der Mittelteil etwas zäh. Eine fabelhafte Ballade gegen Ende entpuppt sich dann als Alice Cooper-Cover von der Indianer-Platte, die nicht ?Lysol? heissen darf. (Danke, Apollo). Jetzt noch balladeskes von Jared, während Buzzo so langsam die Szenerie verlässt. Als das Licht angeht, trollt das zahlreiche Publikum sich recht schnell, wissend, dass die MELVINS keine großen Zugabenfreunde sind.
Macht ja nichts. Es war eine runde Sache, ein beeindruckendes Konzert.

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